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Diese Seite berichtet von München aus über Multimedia, digitales Storytelling und Kunst im Netz. Und stellt eigene Entwicklungen in diesem Bereich vor.

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Außergewöhnliche Aufnahmen mit selbstgebauten Trennflächen-Mikrofonen

Stereo-Aufnahmen

pbba_stativ.jpg

Soviel Plattheit und Langweile uns das Fernsehen geschenkt hat - eine Sache darf man ihm auch zuschreiben: die Revolutionierung des Kinos. Die veränderten Konsumgewohnheiten der glotzenden, suburbanen Bevölkerung bescherte der Kinoindustrie Mitte des letzten Jahrhunderts einen Rückgang von 46% in nur 15 Jahren. Als alle verzweifelten technischen und inhaltlichen Knallerstrategien nichts mehr halfen, bekamen junge, kreative Filmemachern in den 60er Jahren eine verdiente Chance.
star_wars_apocalypse_now.jpg Neben inhaltlichen Erneuerern, die sich an neuen Genres wie Film noir, B-Movie und Science-Fiction abarbeiteten, gab es auch einige junge Filmemacher, die ausgesprochene Ton-Afficionados waren. Darunter vor allem George Lucas und Francis Ford Coppola, die in den 70er Jahren äußerst erfolgreich waren. Aber Star Wars oder Apokalypse Now waren nicht nur erfolgreiche Filme, sondern auch Meilensteine für den Filmton - und das ganz besonders auch wegen ihrer Stereo-Effekte (Flückiger 2001:13-19).

Drei Methoden für den Stereo-Effekt

Zwar haben wir in der Audio-Slideshow aus Zeit- und Kostengründen kaum Möglichkeiten für Effekte, die nachträglich eingefügt werden. Aber ein gutes Stereo-Mikrofon und Aufmerksamkeit für spannende Geräusche sollten doch eigentlich ausreichen, um Bewegung ins Bild zu bekommen oder einen Raum akkustisch für den Rezipienten zu öffnen. Aber warum klingen Aufnahmen mit den meisten kommerziellen Stereo-Mikrofonen so platt? Das hat vor allem historisch-technische Gründe: Leider ist allen Journalisten, die für Fernsehen oder Radio arbeiten, eine gewaltige Behinderung bei Stereo-Aufnahmen gesetzt: Die Monokompatibilität erfordert, dass linkes und rechtes Signal lediglich Unterschiede in der Lautstärke aufweisen, nicht aber in der Laufzeit. Sogenannte Laufzeitstereofonie (bei der Mikrofone mit einem Abstand aufgestellt werden) sind nicht erlaubt, vor allem, damit es bei Monogeräten nicht zu einer gegenseitigen Auslöschung der Wellen kommt, aber auch wegen technischen Eigenheiten bei der Ausstrahlung per Funksignal. Wie streng diese Regel heute noch gehandhabt wird, weiß ich nicht, aber für Stereo-Innovationen war dies in den letzten Jahrzehnten eine arge Bremse. Die Folge: Obwohl man sich im Internet von dieser Regel getrost verabschieden sollte, werden von Journalisten fast niemals Laufzeit-Stereomikrofone verwendet.
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Laufzeit- und Intensitäts-Stereophonie: Der Schall trifft rechts (untere Spur) früher und stärker ein


Das nächste Problem für einen kreativen Umgang mit Stereoaufnahmen ist dagegen eines, das üblicherweise nur bei ausgebildeten Tontechnikern auftritt. Als solcher muss man die dritte Möglichkeit zur Stereobild-Erzeugung, sogenannte Spektraldifferenzen, bei der Stereowiedergabe über Lautsprecher kategorisch ablehnen: Da diese Unterschiede üblicherweise erst durch Brechungen an der Ohmurschel entstehen, machen sie einerseits den Zauber von Kunstkopfaufnahmen aus, sind aber andererseits bei der Wiedergabe mit Lautsprecher im Prinzip unsinnig (wie z.B. in diesem Skript von Tonguru Eberhard Sengpiel durchaus plausibel dargelegt und bei Wikipedia bereitwillig wiederholt). Und trotzdem klingen solche Aufnahmen beeindruckend - vielleicht liegt es daran, dass Stereo-Rezeption nicht mehr nur naturwissenschaftlich erklärt werden kann. Spätestens seit den Kinofilmen der 70er Jahre ist der Stereoeffekt eben auch ein kulturell geprägtes, medial vermitteltes Stilmittel.

Zu den bekanntesten Aufnahmekonstellationen, die Laufzeitstereofonie, Intensitätsstereofonie und die umstrittenen Spektraldifferenzen nutzt, gehört die sogenannte Jecklin-Scheibe eines Schweizer Tonmeisters, die entsprechend in Teilen vom deutschen Kollegen Sengpiel als "esoterisch" verspottet wird. Ignoriert man die scholastischen Debatten, kann man mit einem solchen Setting aber durchaus beeindruckende, raumerzeugende Aufnahmen machen. Einer meiner Lieblingsaufnahmen, vielleicht gerade wegen ihrer übertrieben Räumlichkeit, ist z.B. dieser Wasserfall mit Vogelgesang (MP3) von dem Hobby-Naturaufnehmer Matt Blaze. Überhaupt gibt es eine sehr lebendige Community solcher Aufnahme-Enthusiasten, die entweder in der Natur Geräusche sammeln (nature recordists) oder in der Stadt "urban soundscapes" aufzeichnen. Und deren Experimente verfolge ich nun schon seit über zwei Jahren.

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Als ich vor einigen Monaten einen Slideshow-Auftrag von Sennheiser bekam, hatte ich die Idee, statt einem Honorar endlich zwei wunderbare Kugelmikrofone einzufordern um ein Trennkörper-Rig selbst zu bauen - eine naive Vorstellung, die völlig an den hochkomplexen Arbeitsabläufen von Corporate-Magazinen und großen Firmen vorbeigedacht war. Das hat also nicht geklappt, aber da das Bedürfnis schonmal geweckt war, habe ich mein Honorar bei einem Händler dann doch in zwei hochwertige Kugelmikrofone umgewandelt (Geld = immer praktisch). Wegen dem extrem geringen Eigenrauschen fiel meine Wahl auf ein abgestimmtes Stereopaar Sennheiser MKH-8020. Mit ihnen kann man auch sehr leise Geräusche aufnehmen und - was im journalistischen Alltag auch wichtig ist - man muss nicht so sorgsam einpegeln, weil man später problemloser verstärken kann. Ebenfalls weit verbreitet für Trennkörper-Aufnahmen sind übrigens die günstigeren Audio-Technica AT4022. Jürg Jecklin empfiehlt dagegen für seine Scheibe zwei der sehr teuren DPA 4006.

Olson-Rig und PBBA

Für die journalistische Arbeit habe ich keine Jecklin-Disc nachgebaut - vor allem weil sie für den Reportage-Einsatz zu unhandlich ist. Aber über die Mailingliste Nature Recordists bin ich auf zwei andere Modelle gestoßen. Zum einen die Variante des amerikanischen Tontechnikers Curt Olson, der in den letzten Jahren seine Konstruktion (von der Community einfach nur Olson-Rig genannt) weiterentwickelt hat und per Mailingliste bereitwillig Maße und Ideen zum Selbstbau beisteuert. Und zum anderen ein Nachbau des kommerziell erhältlichen SASS-P, das die englische, auf Grenzflächen- und Trennkörpermikrofone spezialisierte Firma Crown entwickelt hat. Hier hat sich rund um das Weblog eines amerikanischen Professors für Film, Rob Danielson, eine Bastlerszene zusammengefunden: DIY Boundary Rigs. Dort ist auch eine sehr detaillierte Bauanleitung eines sogenannten PBBA (Partially Baffled Boundary Array) verlinkt. Und hier sind nun die Fotos von meinen beiden Nachbauten:
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Olson Rig
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PBBA von vorne
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PBBA von hinten

Die Grundidee ist bei beiden Konstruktionen ähnlich: Zu den unterschiedlichen Laufzeiten und Intensitäten werden den Wellenformen Frequenzänderungen zugefügt: Beim PBBA unter anderem durch die halbdurchlässige Schaumstoffnase, beim Olson Rig durch am Holz reflektierten Schall. Das Olson-Rig hat außerdem die Eigenschaft, in Räumen zusätzlich Seitenschall einzufangen, was bei Konzeraufnahmen unerwünscht wäre, aber bei Atmo-Aufnahmen in Räumen einen tollen Raumklang hinzufügt.

Die ersten Testaufnahmen waren absolut zufriedenstellend. Mein qualitativ gutes Røde NT4, ein klassisches Intensitäts-Stereo-Mikrofon, klingt nicht annähernd so räumlich. Die Präzision bei der Lokalisierung der Schallquelle und der vermittelte Raumeindruck sind bei den Selbstbauten bedeutend höher. Weitere Ergebnisse brachte ein zweiter Test mit einem leicht modifizierten Olson-Rig und schließlich noch ein dritter Test.
testaufnahmen_skizze.jpg

Fazit

Hier mein Fazit und eine erste Interpretation beider Konstruktionen:
Das PBBA sollte vor allem dann eingesetzt werden, wenn man Geräusche in einem Winkel zwischen 10 und 14 Uhr präzise vermitteln möchte. Wichtig wird das vor allem, wenn die Audio-Slideshow über den sogenannten Bühneneffekt Bewegungen vermitteln möchte. Beispiel: Ein Handwerker arbeitet in seiner Werkstatt, das Foto zeigt die (menschenleere) Werkstatt.
Das Olson-Rig ist vorne etwas ungenauer und gedrängter, die Lokalisierung an den Seiten dafür etwas präziser als beim PBBA, was alle vorbeiziehenden Geräusche effektvoller vermitteln dürfte. Seine Stärke liegt aber vor allem bei der Aufnahme stereophoner Atmo-Geräusche, die den Gesamteindruck einer Szene liefern sollen (Beispiel: Kneipe, Straßenumzug). Wenn die Reflektionen von Seitenwänden zu stark wird, hilft das Absenken der Nase, so dass mehr Schall von vorne eingefangen wird. Wenn man den Stereo-Effekt etwas verbreitern will, kann man die Tonquelle von 10 Uhr aufnehmen und das abgewendete Mikro bis ganz nach vorne schieben (wie im dritten Test bei den 5/1-Einstellungen geschehen). Dann hat man links die üblichen Frequenzänderungen und dennoch ein starkes Rechts, so dass ein künstlicher Mitte-Effekt eintritt.

Die Aufgabe für die nächsten Wochen wird nun sein, beide Rigs auf ihre journalistische Praxistauglichkeit zu testen und natürlich herauszufinden, wie der verstärkte Stereoeffekt narrativ genutzt werden kann.

Zitierte Literatur: Flückiger, Barbara: Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films. Marburg : Schüren, 2001.

Veröffentlicht am 09. Mar. 2011. in [/Tech] Kommentare: 1

Someone wrote at 2017-03-24 23:47:

Hallo Herr Eberl, Ich wende mich mit einer ungewöhnlichen Anfrage an sie und hoffe auf ein offenes Ohr. Ich bin Philipp Schröter, leidenschaftlicher Freizeit-ornithologe und Aufnehmer von Naturklängen aus Kiel. Ich bin blind. Ich bin schon seit längerer Zeit mit den technischen Hintergründen der Stereomikrofonie befasst und möchte nun endlich von meinem rode nt4 auf ein SASS-system nach Rob Danielson umsteigen, das ich mit zwei Audiotechnica at4022 bestücken möchte. Weil ich nicht sehen kann, ist mir das Selbstbauen allerdings unmöglich. Ich suche nun jemanden, der die Expertise und Gründlichkeit besitzt, mir nach den Vorgaben von Rob danielson ein SASS-system zusammenzuzimmern. Ich fürchtete schon, ich müsste nach Amerika schreiben oder Australien, aber ich hoffe, ich habe jetzt jemanden in Deutschland gefunden, der sich damit auskennt und mir behilflich sein kann. Vielleicht können sie mir helfen. Und wenn nicht selbst, dann kennen sie vielleicht Leute, die mir helfen mögen. Ich würde mich sehr freuen! Wenn sie mal reinhören wollen in mein bisheriges Schaffen: www.soundcloud.com/naturklang

Bitte kontaktieren sie mich über die Mail-Adresse: pschroeter1@gmx.de

Ich würde mich sehr über eine Rückmeldung freuen. viele Grüße, Philipp Schröter




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