Der französische Fotograf Samuel Bollendorff hat für die Website von Le Monde eine aufwändige multimediale Reportage über den Kohleabbau in China realisiert: Voyage au bout du charbon Das besondere an dem Format ist vor allem die Interaktivität: Man kann beispielsweise einzelne Fragen an einen Minenarbeiter auswählen und gerät so in die Rolle des Journalisten. Ein Eindruck, den man vor allem von Computerspielen kennt und den weder Film noch Textreportage in dieser Stärke erzeugen kann. Zum anderen präsentiert die sogenannte "web documentary" Bild, Ton und Film in ungewohnter Vermischung: durch die interaktive Steuerung läuft die Reportage nicht fortwährend durch wie eine Audio-Slideshow mit Videoelementen, sondern steht immer wieder still bis der Rezipient eine Auswahl trifft.
Das großartigste an der Reportage sind die Bilder, die obendrein von sehr eindrucksvollen atmosphärischen Tonaufnahmen begleitet werden. Zusammen mit der interaktiven Steuerung ergibt sich tatsächlich ein wenig der Eindruck, man würde die fremde Welt selbst erkunden. Die Journalisten und Fotografen sind nicht mehr greifbar, der Zuschauer tritt an ihre Stelle. Dennoch muss man wie bei allen interaktiven Features kritisieren, dass die Steuerung den Fluss der Erzählung stört. Alles bleibt ein Fragment einzelner Eindrücke, die Zwang etwas zu wählen überfordert den Rezipienten und macht die Ganzheit der Geschichte kaputt. Schön sind Kleinigkeiten wie die jederzeit einblendbare Karte und der Vollbildmodus.
Obwohl die Reportage einzigartig ist und durchaus Maßstäbe im Bereich des interaktiven Storytellings setzt, halte ich diese Art von Reportagen nicht für wegweisend - ganz einfach weil die Zerteilung in Einzelstücke die Narration erheblich stört. Den Zuschauern hat es dennoch gefallen: Nach Angabe der Produktionsfirma Honkytonk erzeugte die web documentary bereits zwischen Ende 2008 und Anfang 2009 über 1,5 Millionen page views. Unabhängig vom Image-Gewinn, den eine Website mit solch großen Produktionen hat, gibt es tatsächlich auch die Hoffnung, dass sie sich auch finanziell lohnen könnten.
Veröffentlicht am 13. Oct. 2009. in [/Journalismus/Multimedia-Reportagen]
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Simon wrote at 2010-03-06 20:37: